Foto: Marcus Ebener
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Regensburger Stummfilmwoche – die „großen Fünf“ zu Juden und Christen

Auch heuer findet mitten in der Urlaubszeit, vom 13. bis zum 22. August, die Regensburger Stummfilmwoche statt. In ihrem 37. Jahr weicht sie ausnahmsweise von ihrem traditionellen Konzept ab und gibt sich einen thematischen Schwerpunkt. Die Filmauswahl richtet sich am Jahresthema der Stadt Regensburg aus, „Stadt und Gesellschaft“, dessen historischer Anlass das Gedenken an die Vertreibung der Juden 1519 ist. Aus den frühen 1920er Jahren haben sich fünf hochkarätige Filmwerke erhalten, in denen sich führende europäische Filmemacher mit grundlegenden Fragen der Menschheit in Zeiten des Umbruchs auseinandersetzen, so auch dem Zusammenleben von Juden und Christen. Und welche passenderen Orte gäbe es in Regensburg für diese Filmkonzerte als das Jüdische Gemeindezentrum und die Neupfarrkirche?

Die Eröffnung am 13. August bringt die Berlinale nach Regensburg. Letztes Jahr feierte die aufwendig rekonstruierte Fassung von „Das alte Gesetz“ dort Premiere, musikalisch gestaltet vom Jewish Chamber Orchestra Munichunter der Leitung von Daniel Grossmann. Diese Vorstellung kann dank der Förderung der Stadt Regensburg live in die Neupfarrkirche geholt werden. Sie gibt einen authentischen Blick in ein Schtetl in Osteuropa um 1860. Der Sohn eines Rabbiners will Schauspieler werden und geht nach Wien, was mit den familiären Konventionen nicht zu vereinbaren ist. Am 14. August treffen in „Nathan der Weise“ drei Weltreligionen aufeinander. Das Aljoscha-Zimmermann-Ensemble (Violine & Piano), Stammmusiker der Stummfilmwoche, begleitet den Film und das Publikum nach Jerusalem. Die letzte Vorstellung in der Neupfarrkirche, die auf dem Schutt des Jüdischen Viertels errichtet wurde, ist am 15. August für „Die Gezeichneten“ reserviert. Der Film von 1922 zeichnet nach, wie schnell Vorurteile in einem Pogrom gipfeln können. Den Klassiker von Carl Theodor Dreyer wir Nina Goslar von der ARTE-Filmredaktion im ZDF einführen, die dort seit rund 25 Jahren Stummfilme wiederentdeckt und ins Programm bringt. Und Rainer J. Hofmann hat Musik frisch für die Orgel komponiert.

Die zweite Hälfte der Stummfilmwoche ist im Jüdischen Gemeindezentrum zu Gast und zeigt am 21. August, wie Utopia, „Die Stadt ohne Juden“, aussehen könnte. Der gleichnamige Roman und der Film spielen in der aktuellen Zeit, also in den Zwanzigern, und ihnen wird prophe­tische Weitsicht hinsichtlich der Geschehnisse im Dritten Reich zugeschrieben. Kurz nach der Premiere wurde der Autor des Buches von einem Nationalsozialisten erschossen. Vsevolod Pozdejev am Flügel begleitet diese Satire. Der letzte Abend am 22. August gehört dem bekanntesten Film der Reihe: „Der Golem, und wie er in die Welt kam“. Der mystische Mann aus Lehm wird von Rabbi Loew im Prag des 16. Jahrhunderts zum Leben erweckt, um die jüdische Gemeinde zu beschützen. Das klappt zunächst, aber der künstliche Mensch gerät außer Kontrolle. Der Golem war einer der international größten Erfolge des deutschen Kinos und ist noch heute – nicht nur wegen seiner expressionistischen Bauten – eines der bekanntesten Werke der Stummfilmzeit. Er erzählt von Existenzkampf, Verzweiflung und Hoffnung, eindrucksvoll in die Moderne geholt mit der Live-Musik des Aljoscha-Zimmermann-Ensembles.

Die Vorstellungen werden ermöglicht durch die Förderung des Kulturreferats und Kulturamts der Stadt Regensburg sowie des Kulturfonds der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern ebenso wie durch die enge Kooperation des Arbeitskreis Film mit der Jüdischen Gemeinde und der Gemeinde Neupfarr­kirche. Hieraus entstand auch das Begleitprogramm – ein Gottesdienst zum Thema „Film und Glaube“ am 18. August sowie eine Exkursion zur Ausstellung „Die Stadt ohne. Juden Ausländer Muslime Flüchtlinge“ am 25. August nach München. Die Ausstellung „VorBilder. Die Modernisierung des Frauenbildes in den Anfängen des Kinos“ im Donaueinkaufszentrum (06.08.-17.08.) feiert die Frauen des frühen Films und ist organisiert von cinEScultura.

Die Vorstellungen sind immer ein Erlebnis, denn Stummfilme sind ja nicht stumm! Hochkarätige Musiker schaffen neue Partituren, interpretieren die Filme auf ihre ganz eigene Weise und tragen sie ins Heute. Beginn ist jeweils um 20:00 Uhr. Karten gibt es auf www.stummfilmwoche.de, in der Tourist Info und an der Abendkasse.

Termine der 37. Regensburger Stummfilmwoche (2019)

Vorverkauf: Filmgalerie im Leeren Beutel (ohne VVK-Gebühren), Tourist-Information im Alten Rathaus und online auf www.stummfilmwoche.de (zzgl. VVK-Gebühren)

Dienstag, 13. August, 20:00 Uhr

Das alte Gesetz

1923, D, Regie: Ewald André Dupont

Live-Musik: Jewish Chamber Orchestra Munich (Kammerorchester)

Ort: Neupfarrkirche, Neupfarrplatz 1

Der Film thematisiert die Assimilationsproblematik. 1860 in einem jüdischen Örtchen in Galizien: der Sohn des Rabbiners (Ernst Deutsch!) will Schauspieler werden, verlässt das Schtetl und wird zum Star des Wiener Burgtheaters. Sein Vater verstößt ihn, und nach einigen Wirrungen kehrt er wieder zurück. „Mit der authentischen Ausstattung und der beeindruckenden Leistung der Schauspieler zählt „Das alte Gesetz“ zu den Klassikern des Weimarer Kinos. Die aktuelle Digital-Restaurierung der Deutschen Kinemathek hatte auf der Berlinale 2018 ihre Premiere.“ (arte)

Das Kulturreferat der Stadt finanziert den Auftritt des renommierten Jewish Chamber Orchestra Munich, das den Film Das alte Gesetz gestalten wird – dies ist eine Vorstellung, wie sie bei der Berlinale 2018 ihre Premiere in der rekonstruierten Fassung des Films von 1923 hatte.

Mittwoch, 14. August, 20:00 Uhr

Nathan der Weise

1923, D, Regie: Manfred Noa, nach dem Drama von Gotthold Ephraim Lessing

Live-Musik: Aljoscha-Zimmermann-Ensemble (Violine & Klavier)

Ort: Neupfarrkirche, Neupfarrplatz 1

Im Stück von Lessing wird die religiöse Toleranz von den Vertretern der drei Weltreligionen diskutiert. Der Stummfilm ist im Mittelalter angesiedelt und besticht durch eine kunstvolle Dramaturgie, rasante Schnitte und schnelle Schauplatzwechsel.

Donnerstag, 15. August            , 20:00 Uhr

Die Gezeichneten

1922, D, Regie: Carl Theodor Dreyer

Live-Musik: Rainer J. Hofmann (Multiinstrumentalist)

Einführung: Nina Goslar, ARTE-Filmredaktion im ZDF

Ort: Neupfarrkirche, Neupfarrplatz 1

Der Regisseur zeichnet deutlich nach, wie schnell Vorurteile in einem Pogrom gipfeln können. „Er zeigt das Schicksal eines jüdischen Mädchens und ihrer Familie aus einer russischen Kleinstadt während der revolutionären Unruhen und Pogrome 1905. Dreyer hat mit russischen Flüchtlingen in Berlin gedreht, dabei auch viele Gespräche mit ihnen geführt, dazu Fotografien und Bücher studiert. So atmen die Landschaftsaufnahmen, die Genre- und Massenszenen eine ungewöhnliche Authentizität. Zugleich entfaltet sich ein beklemmendes Szenario von Auf­geregtheit, Fanatismus und Rassenhass, das schon auf kommen­de Exzesse vorausweist.“ (nmz, 2011). Dreyer ist wohl der Regisseur, der christliche, und v.a. protestantische, Themen am strengsten und eindrucksvollsten auf Leinwand gebannt hat.

Mittwoch, 21. August, 20:00 Uhr

Die Stadt ohne Juden

1924, A, Regie: H.K. Breslauer, nach einem Roman von Hugo Bettauer

Live-Musik: Vsevolod Pozdejev (Klavier)

Ort: Jüdisches Gemeindezentrum, Am Brixener Hof 2   

Der Film spielt in der aktuellen Zeit, also in den Zwanzigern. Sowohl dem satirischen Roman (Untertitel: „Roman von übermorgen“) als auch dem Film wird prophetische Weitsicht hinsichtlich der Geschehnisse im Dritten Reich zugeschrieben, die sich auch in den filmischen Bildern der Vertreibung der Juden widerspiegelt. Kurz nach der Premiere wurde der Autor des Buches von einem Nationalsozialisten erschossen.

Donnerstag, 22. August, 20:00 Uhr

Der Golem, und wie er in die Welt kam

1920, D, Regie: Paul Wegener, Carl Boese, nach dem Roman von Gustav Meyrink

Live-Musik: Aljoscha-Zimmermann-Ensemble (Violine & Klavier)

Ort: Jüdisches Gemeindezentrum, Am Brixener Hof 2

Prag im 16. Jahrhundert. Rabbi Loew liest in den Sternen, dass der jüdischen Gemeinde Unheil droht. Nach einer alten Legende kann nur noch der Golem helfen. Der Rabbi formt den mystischen Mann aus Lehm und erweckt ihn zum Leben. Er rettet die Gemeinde, gerät aber dann außer Kontrolle. Rabbi Loew ist machtlos. Nur ein „Lichtwesen“, ein Kind, liebt den Golem und bringt – die christliche Konnotation ist unübersehbar – dem Monster die Erlösung. Der Film war einer der international größten Erfolge des deutschen Kinos, wurde weltweit gezeigt und ist noch heute – nicht nur wegen seiner expressionistischen Bauten – eines der bekanntesten Werke der Stummfilmzeit. Er erzählt von Existenzkampf, Verzweiflung und Hoffnung.

ZUSATZPROGRAMM:

  1. August bis 17. August

Fotoausstellung im Donaueinkaufszentrum (vor Drogerie Müller):

VorBilder. Die Modernisierung des Frauenbildes in den Anfängen des Kinos

(organisiert von cinEScultura, in Kooperation mit der Spanischen Botschaft in Berlin). Die Ausstellung feiert die Frauen des frühen Films, der Schwerpunkt liegt auf Nahaufnahmen der Leinwandgöttinnen des US-Kinos 1914-1936, nicht wenige davon haben jüdischen Hintergrund. Sie sind Pionierinnen, die unabhängige Frauen verkörpern und den Ausbruch aus traditionellen Rollen wagten.

Sonntag, 18. August, 11:00 Uhr

Gottesdienst anlässlich der Stummfilmwoche (Neupfarrkirche)

Sonntag, 25. August

Gemeinsame Fahrt nach München zur Ausstellung „Die Stadt ohne. Juden Ausländer Muslime Flüchtlinge“ im NS-Dokumentationszentrum München

Treffpunkt: Hauptbahnhof  Reisezentrum, 9:15 Uhr

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Veranstalter: Arbeitskreis Film Regensburg e.V.

Telefon: 0941 – 298 4563

E-Mail: info@filmgalerie.de

www.stummfilmwoche.de