„Alles hat seine Stunde. Jedes Geschehen un-ter dem Himmel hat seine Zeit. [...] Eine Zeit zum Weinen und eine Zeit zum Lachen, eine Zeit für die Klage und eine Zeit für den Tanz ...“, sagt ein Vers aus dem Buch Kohelet, das Bestandteil des Tanach wie des Alten Testaments ist. Und es gibt eine Zeit, in der wir beides tun: Trauern und erinnern an unvorstellbares Leid und uns freuen, jubeln und mit Hoffnung in die Zukunft blicken. Genau 500 Jahre nach Schleifung der ersten Regensburger Synagoge wird diesen Februar der Neubau einer Regensburger Synagoge gefeiert.
Das neue jüdische Gemeindezentrum Am Brixener Hof ist fast fertig. Es steht auf der Parzelle, an der sich auch der Vorgängerbau befand, der in der Nacht des 9. November 1938 zerstört wurde. In Brand gesteckt haben die Synagoge Schüler der Ausbildungsstätte des des „Nationalsozialistischen Kraftfahrkorps“. Akribisch, ja geradezu genüsslich wurde das barbarische Treiben dokumentiert: Gegen 1:20 Uhr am 10. November stürzte die Kuppel ein; gegen 2:30 Uhr war die Synagoge ausgebrannt. SS und SA verwüsteten daraufhin jüdische Geschäfte, die Schikanen nahmen nun-mehr vollends und ungehemmt ihren Lauf, der „Schandmarsch“ durch die Maximilianstraße begann, in dem die Juden von Passanten ge-schlagen, bespuckt oder mit Steinen beworfen wurden. Der Regensburger Oberbürgermeister Otto Schottenheim ordnete den Abbruch der Synagogen-Ruine an, die Kosten dafür wurden der jüdischen Gemeinde in Rechnung gestellt. Besonders infam: Als Sammelstätte für die De-portationen in die Konzentrationslager diente die durch den Abbruch der Synagoge geschaffene Brachfläche. Es war die dritte Schleifung einer Regensburger Synagoge. Denn vieler Pro-teste zum Trotz wurde 1938 auch das Gebäude in der Unteren Bachgasse abgerissen, in dem von 1841 bis 1907 in einer profanierten Kirche die jüdische Gemeinde Riten und Versammlungen abhielt. Heute steht hier ein schmuck-loser Flachbau. Eine Gedenktafel, die auf pri-vate Initiative hin angebracht wurde, erinnert seit 2012 an die sogenannte „Alte Synagoge“.
Im Februar 2019 jährt sich zum 500. Mal die Zerstörung des jüdischen Viertels samt Syna-goge auf dem heutigen Neupfarrplatz. Nach Jahrhunderten mehr oder minder friedlicher Koexistenz wurden die Juden gezwungen, Re-gensburg zu verlassen. Die Propaganda fanatischer Hassprediger und neidischer Kaufleute sorgte für einen Stimmungsumschwung, die jüdischen Mitbürger waren bis dahin geschätzt und geachtet, in internationalen Gelehrtenkrei-sen war die Regensburger Talmudschule be-rühmt. Am 21. Februar 1519 wurde den Ju-den die Ausweisung angezeigt. Ihre Häuser wurden danach komplett abgerissen. Auch die Synagoge riss man nieder, ihr genauer Stand-ort konnte erst bei Grabungen im Rahmen der Neugestaltung des Neupfarrplatzes in den 1990er-Jahren lokalisiert werden. Das Bodenrelief „Misrach“ von Dani Karavan zeichnet den Grundriss der mittelalterlichen Synagoge nach. Der 1721 errichtete barocke Reichsstadtbrun-nen wurde hierfür nach Westen versetzt.
Der jüdische Friedhof vor den Toren der Stadt im Bereich des heutigen Keplerareals in Bahn-hofsnähe wurde geschändet, die über 4000 Grabsteine größtenteils zerstört, teilweise aber von Regensburger Bürgern mit Billigung des Rats entwendet und als günstiges Baumaterial verwendet. Etwa 60 dieser „Judensteine“ sind erhalten.
Die Eröffnung des neuen jüdischen Gemeinde-zentrums am 27. und 28. Februar ist nicht nur für die Regensburger Stadtgeschichte ein historisches Ereignis. Die Kontinuität jüdischen Lebens in der Stadt ist gesichert. Nicht nur für Ilse Danziger, die Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Regensburg, geht ein Traum in Erfüllung. Was vor 80 Jahren Regensburger Bürger zerstört haben, ist unwiederbringlich da-hin. Von daher ist es nur recht, dass sich die Stadt ideell und finanziell am Synagogen-Neu-bau beteiligt. „Das neue Gemeindezentrum ist ein Haus für die Zukunft“, betont Ilse Danziger. „Willkommen sind alle, die in guter Absicht kommen. Es war uns ein zentrales Anliegen, dass der Bau offen, transparent und freundlich gestaltet ist. Mit dem katholischen Dom und der protestantischen Neupfarrkirche bildet die Neue Synagoge ein Dreieck im Zentrum Regensburgs. Ein schönes Zeichen, das sich auch im gelebten Miteinander der Menschen dieser Stadt widerspiegeln soll.“
Eine Regensburger jüdische Gemeinschaft lässt sich 981 nachweisen, sie ist damit die äl-teste auf bayerischem Boden. 1227 wurde die Synagoge auf dem heutigen Neupfarrplatz fertiggestellt, nach Köln, Trier, Speyer und Worms die fünfte im Reich. Die Baumeister kamen aus der Dombauhütte zu Reims, sie schrieben in-sofern Architekturgeschichte, als sie mit dem Synagogenbau erstmals im Donau-Raum den Baustil der Gotik einführten. Der repräsentative und reich gegliederte Bau mit Schaufront nach Osten bot über 300 Sitzplätze.
Nach dem Tod von Kaiser Maximilian I. am 12. Januar 1519 nutzte der Rat der Stadt das Machtvakuum – gegen Bezahlung von Gebühren standen Juden unter dem besonderen Schutz des Kaisers – und beschloss am 21. Februar die Ausweisung der jüdischen Gemeinde und die Räumung der Synagoge. Binnen zwei-er Wochen mussten sie die Stadt verlassen. Der Großteil der Vertriebenen suchte in Polen und Tirol eine neue Heimat. Das jüdische Vier-tel samt Synagoge wurde zerstört. Wenige Wochen nach der Vertreibung entstand am Platz des ehemaligen jüdischen Viertels die Wallfahrt zur Schönen Maria.
In geringem Umfang ist jüdisches Leben in Regensburg erst wieder ab 1669 nachzuweisen. Als Versammlungs- und Bethaus diente der Gemeinde ein Gebäude Hinter der Grieb. 1822 wurde der bis heute bestehende Friedhof an der Schillerstraße, am Westende des Stadtparks, angelegt. 1832 folgte die Errichtung einer jüdischen Volksschule, 1841 die Einweihung eines Betsaals in der Unteren Bachgasse.
Am Architektenwettbewerb 1908 beteiligten sich namhafte Baumeister. Realisiert wurde schließlich der Entwurf von Joseph Koch (* 25. Mai 1873 in München; † 3. November 1934 in Regensburg), der zusammen mit seinem ehemaligen Kommilitonen und Kompagnon Heinrich Hauberrisser als Regensburger Stararchitekt galt. Von Koch stammen unter anderem das Velodrom, der Fürstenhof in der Maximilianstraße, die Weinschenkvilla und das „Fuhrmann“-Haus am Haidplatz. Baubeginn war Anfang 1911, am 29. August 1912 konnte die Synagoge feierlich in Anwesenheit auch der nichtjüdischen Bevölkerung eingeweiht wer-den. Der amtierende Bürgermeister Otto Geßler bekundete in seiner Ansprache den allzeitigen Schutz der Synagoge durch die Stadt Regensburg. Aber sie stand nur knapp 27 Jahre.
In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurde die Synagoge von einer paramilitärischen Unterorganisation der NSDAP in Brand gesteckt. Löscharbeiten durften auf Befehl des damaligen Bürgermeisters Otto Schottenheim, der vor Ort persönlich anwesend war, nur zum Schutz der anliegenden Gebäude ausgeführt werden. So blieb das Gemeindehaus erhalten. Die Ruine der Synagoge wurde in den folgenden Monaten komplett abgetragen. Perfide: Das Gemeindehaus und die entstandene Brache nutzten die Nazis, um von hier aus die Deportation der Juden zu organisieren.
Nach der Befreiung der Konzentrationslager Anfang 1945 trafen zahlreiche Überlebende in Regensburg ein. Da die Stadt wegen geringer Kriegsschäden über vergleichsweise reich-lich Wohnraum verfügte, siedelten sich zeitweilige jüdische Flüchtlinge an. Es dürften mehrere 1000 gewesen sei, die aber größtenteils nach Palästina und in die USA emigrierten. Im Oktober 1945 gründete sich die Jewish Community, aus der am 1. August 1950 die Jüdische Gemeinde Regensburg wurde. Kulte und Ritus wurden im Gemeindehaus abgehalten, bis 1968 ein Betsaal im modernen Stil auf dem ehemaligen Synagogengelände errichtet wurde. Dieser Interimsbau wurde nun abgerissen. Am 19. Oktober 2016 erfolgte die Grundsteinlegung zur Neuen Synagoge. Richtfest war am 25. Oktober 2018. Aus dem Architekturwettbewerb für das neue Jüdische Zentrum mit Synagoge ging das Architekturbüro Volker Staab aus Berlin hervor.
Seit der Zerstörung 1938 gab es in Regensburg keine Synagoge mehr. Dass nach dem Völker-mord an der jüdischen Bevölkerung dennoch wieder Juden in Regensburg ansässig wurden und werden, das wieder jüdische Kultur einkehrte und eine jüdische Gemeinde wuchs und gedieh, kann die Bürgerinnen und Bürger in Regensburg nur mit Dankbarkeit erfüllen. Durch Zuzug vor allem aus Ost- und Südeuropa ist die jüdische Gemeinde in den letzten 20 Jahren sehr stark angewachsen. Die Mitgliederzahl liegt aktuell bei nahezu 1000. Diese Verzehnfachung der Mitgliederzahl bringt aber auch neue Herausforderungen mit sich. Um jüdisches Leben in der Zukunft zu festigen, benötigt die Gemeinde vor allem ein Platzangebot, das für ihre Mitglieder ausreichend groß ist. Das jüdische Zentrum mit Synagoge, Kulturräumen und Verwaltungsbüros zu erneuern, war daher das Gebot der Stunde. Im Frühjahr 2015 hatte die jüdische Gemeinde einen Architekturwettbewerb für ein neues Gemeindezentrum mit Synagoge ausgelobt. Gewonnen hat ihn das Büro Volker Staab aus Berlin mit einem modernen Entwurf, der sich zwanglos ins Stadtbild fügt. Der Bau separiert sich nicht überheblich von seiner umgebenden Bebauung, er wirkt licht, offen und transparent und ist ein gutes Beispiel dafür, wie modernes Bauen im Welterbe gelingen kann.
Im neuen Bau mit heller Klinkerstein-Fassade befindet sich ebenerdig der Gemeindesaal für bis zu 200 Besucher, ein Versammlungsraum, der für Feiern und Veranstaltungen wie Lesungen, Konzerte und Vorträge genutzt wird. Mit großen Schiebeelementen kann der Raum im Sommer zum Hof hin geöffnet wer-den. Bald wird dort wieder Grün sprießen. Der prächtig gediehene Gingko, den Hans Rosen-gold anlässlich der Einweihung des alten Mehrwecksaals gepflanzt hatte, musste leider den Planungen geopfert werden. Gebetet wird im ersten Stock. Aufgrund der kniffligen Grund-stücksbeschaffenheit ist das nicht anders plan-bar. Der Gebetsbereich für die Männer mit Thora-Schrank in der Ostwand und Bima, dem Gebetspult, fasst gut 100 Personen. Wie in allen orthodoxen Synagogen gibt es eine Frauenempore, sie bietet Platz für 60 Personen. Der zweigeschossige Synagogenraum ist mit seiner kuppelartigen Bekrönung von einer filigranen Metallhülle umgeben, die mit Lichtschlitzen durchbrochen ist. Diese sorgen zusammen mit einer filigranen Holzlamellen-Verkleidung im Inneren für gedämpftes Tageslicht und eine kontemplative Stimmung. Eine architektonische Besonderheit stellt die freitragende und gewölbte Holzdecke dar.
Der gesamte Neubaukomplex, der an das historische Gemeindehaus andockt, ist barriere-frei. Ein Sabbat-Lift erlaubt die Umgehung des für orthodoxe Juden verpflichtenden Gebots, am Sabbat keine elektrische Geräte zu benutzen. Der Zugang erfolgt vom Brixener Hof her, wie dies bereits beim zerstörten Vorgängerbau möglich war. Über ein Atrium erreicht man die Sicherheitsschleuse – ein Erfordernis, das für jüdische Einrichtungen (leider) nötig ist –, über die man ins Vestibül und in die Bibliothek ge-langt, die für die Allgemeinheit zugänglich ist. Die überaus großflächigen Fenster mussten in schusssicherem Glas ausgeführt werden. Kunst am Bau: Den einladend offenen Patio vor dem Haupteingang bekrönt eine dreistufige vergoldete Bronzespirale des Künstlers Tom Kristen, die umlaufend aus den Zeilen von Rose Ausländers Gedicht Gemeinsam besteht.
Ein Lese- und Studienraum für Jugendliche und Studierende, Besprechungszimmer, ein Spiel-zimmer für Kinder, ein Unterrichtsraum für Hebräischkurse und das Thorastudium, Küchen für die strikt koschere Zubereitung und Aufbewahrung von Speisen – das Haus Am Brixener Hof 2 verdient vollumfänglich die Bezeichnung „Jüdisches Gemeindezentrum mit Synagoge“, wie die Baumaßnahme offiziell heißt.
Die Gesamtkosten des Vorhabens belaufen sich auf rund 7,5 Millionen Euro, davon entfallen auf den Neubau an die fünf und auf die Altbausanierung gut zwei Millionen Euro. Durch zusätzlich verlangte Gutachten und andere Unwägbarkeiten verteuerte sich das Vorhaben um etwa eineinhalb Million. Im Rahmen des Zukunftsinvestitionsprogramms (ZIP) fördert das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung mit einem Zuschuss in Höhe von 3,3 Millionen Euro, die Stadt Regensburg leistet einen Finanzierungsbeitrag in Höhe von zwei Millionen Euro. Den Rest der Bausumme muss die Jüdische Gemeinde Regensburg aus Eigenmitteln aufbringen.
2012 formierte sich ein Unterstützerkreis aus Bürgerinnen und Bürgern, aus Repräsentanten aus Stadtgesellschaft, Politik, Hochschulen, Kirchen und anderen Institutionen. Der „Förderverein Neue Regensburger Synagoge“ wurde im November 2013 gegründet. Ziel des Vereins ist es, gemeinsam mit der Jüdischen Gemeinde Regensburg dafür zu sorgen, dass Regensburg wieder eine Synagoge und ein den aktuellen Erfordernissen entsprechendes Gemeindezentrum erhält. Der Verein unterstützt das Anliegen ideell und finanziell, so durch Öffentlichkeitsarbeit, Veranstaltungen (wie die regelmäßig ausgebuchten Baustellenführungen), Spendenakquise bei potenziellen finanziellen Unterstützern und andere Maßnahmen. Der Verein bittet die Regensburger Öffentlichkeit, das Projekt ideell zu tragen und finanziell zu unterstützen. Spenden können Sie mit dem Verwendungszweck „Neues Jüdisches Zentrum" auf das Konto des Fördervereins Neue Regensburger Synagoge e. V. (NRS) überweisen.
Bei Bedarf wird eine Spendenquittung ausgestellt, der Betrag ist steuerlich absetz-bar. Wer 500 Euro oder mehr geben möchte, erhält außerdem einen „symbolischen Bau-stein“. Das heißt: Auf der Webseite des Fördervereins (synagoge-regensburg.de) wer-den Bausteine mit den Namen ihrer Spender versehen – sofern diese das möchten. Nicht nur Einzelpersonen sind angesprochen, auch Vereine, Freundeskreise, Schulen oder Firmen können sich beteiligen und ihren Teil dazu beitragen, dass die neue Synagoge für Regensburg zu einem Bürgerprojekt wird. Konto:
Sparkasse Regensburg
Konto 265 954 39, BLZ 75050000
IBAN: DE12 7505 0000 0026 5954 39
„Eine Zeit zum Weinen und eine Zeit zum Lachen ...“ Aber keine Zeit für Auslöschung, Hass und Vernichtung, kein Ort für Taten, die zu beschreiben unser sprachliches Vermögen übersteigt. Die Neue Synagoge ist Mahnmal, Zeichen des Neuanfangs und Symbol für den Frieden gleichermaßen. Stephen Sondheim, der amerikanische Musicalkomponist und -texter, greift in einem seiner Songtexte für Leonard Bernsteins West Side Story Textstellen aus dem eingangs zitierten Buch Kohelet auf. Er formuliert im Lied Somewhere einen Wunsch, der gleichsam auch für die Neue Synagoge gilt: „There‘s a place for us, peace and quiet and open air. There‘s a time for us, time together with time to spare, time to learn, time to care ...“ Mit Fertigstellung des Bauwerks hat dieser Wunsch einen konkreten Ort. Er muss nicht Utopie bleiben.
Aus Kulturjournal Regensburg, Ausgabe Februar 2019, Autor: Peter Lang