Am 13. September fand in der neuen Synagoge in Regensburg eine Lesung im Rahmen des ‚European day of Jewish Culture: Jewish Journeys‘ statt, in dem zwei Professoren der Universität Regensburg, der Sozialanthropologe Ger Duijzings und der Historiker Klaus Buchenau, ihren Sammelband Russkij Regensburg – Die russischsprachige Bevölkerung Regensburgs vorstellten. Es war die erste Veranstaltung in der Synagoge seit Anfang der Coronakrise, und eine Herausforderung bestand darin, ohne Verletzung der Abstandsregeln so viele Sitzplätze wie möglich zu schaffen. Letzten Endes kamen ungefähr 40 Besucher, damit war der Saal fast voll.
Das Buch ist das Ergebnis eines interdisziplinären Projektkurses im Master ‚Europäische Gesellschaften im Wandel‘ am Institut für Geschichte der Universität Regensburg. In diesem Kurs erforschten Studierende die russischsprachige Bevölkerung Regensburgs unter Anwendung anthropologischer und historischer Methoden; es gab insgesamt sieben Teilprojekte, die dann als Beiträge in diesem Sammelband aufgenommen wurden. Wie Klaus Buchenau am Anfang erläuterte, entschieden sich die Studierenden nicht für historische Forschung ‚im Archiv‘, sondern für anthropologische Forschung ‚im Terrain‘.
Vor allem führten Sie Interviews mit russischsprachigen Einwohnern der Stadt Regensburg, unter anderem auch mit Mitgliedern der Jüdischen Gemeinde. Die JG in Regensburg besteht heute bekanntlich vor allem aus russischsprachigen Juden aus der ehemaligen Sowjetunion, die ab Mitte 1990er Jahre als Kontingentflüchtlinge in Deutschland einreisten und heute in vielen jüdischen Gemeinden Deutschlands die Mehrheit der Mitglieder bilden. Außer dieser Gruppe gibt es in Regensburg auch noch eine bedeutende Anzahl von Russlanddeutschen und eine kleinere russische Minderheit. Das russischsprachige Regensburg umfasst insgesamt ungefähr 10.000 Menschen (7% der Bevölkerung), wurde allerdings bislang noch kaum als solches thematisiert. Dieses Buch ist einer erster Schritt, das zu ändern.
Die Buchvorstellung begann mit einer Begrüßung und Ansprache auf Russisch durch Klaus Buchenau. Er betonte, dass der russischsprachige Teil der jüdischen Gemeinden, wenngleich zahlenstark, öffentlich nicht sehr sichtbar sei; und dass es mittelfristig für das Verhältnis zwischen den jüdischen Gemeinden und der Gesellschaft wichtig sein könnte, das zu ändern - denn ein sinnvoller Dialog setzt voraus, die Erfahrungen des Anderen zu kennen. Dann erläuterte Ger Duijzings, was die anthropologische Feldforschung konkret für das Projekt bedeutet. Im Mittelpunkt standen Interviews mit Personen aus ganz verschiedenen Zusammenhängen des russischsprachigen Regensburgs, wobei sich die lebhafte und gut organisierte Jüdische Gemeinde Regensburg zu einem Knotenpunkt des Projekts entwickelte. Drei von den insgesamt sieben Beiträgen beschäftigen sich mit den ‚russischen‘ Aspekte des jüdischen Gemeindelebens – darunter mit der Bibliothek der JG, die als sozialer Treffpunkt im Leben der russischsprachigen Gemeindemitglieder eine große Rolle spielt; mit Erinnerungen an jüdisches (aber auch russlanddeutsches) Leben in der Sowjetunion; mit den Lebensgeschichten des Ehepaars Volodymyr Barskyy und Klara Barska, zweier prominenter Mitglieder der Jüdischen Gemeinde in Regensburg, die 1997 von Czernowitz in der Ukraine nach Regensburg übersiedelten.
Viele der Porträts im Buch geben Aufschluss darüber, wie einzelne Biografien mit den gesellschaftlichen Bedingungen und Entwicklungen sowohl in der ehemaligen Sowjetunion als in Deutschland verwoben sind. Das Buch enthält eine Menge persönlicher Erinnerungen an das Leben in der Sowjetunion, an Ausreise und Ankunft in Deutschland; hinzu kommt ein Beitrag über „russische“ Lebensmittel, die heute diese Erinnerungen wieder wach werden lassen.
Während der Präsentation wurden alle Beiträge des Buchs kurz vorgestellt, auch diejenigen, die sich nicht der Jüdischen Gemeinde, sondern den Russlanddeutschen, der Russisch-Orthodoxe Kirchengemeinde oder eben der Kulinarie widmen. Es wurden auch Ausschnitte aus dem Buch vorgelesen und die Schwierigkeiten des Forschungsprozesses angesprochen. Dabei kamen die anwesenden Studierenden, die eigentlichen Verfasser der Beiträge, ebenfalls zu Wort. Sie betonten (zur Zufriedenheit ihrer Professoren!), viel vom Projektkurs gelernt zu haben. Sie empfanden die Forschung mit lebenden Personen als intensiv, nicht immer einfach, in jedem Fall aber als lohnend, weil man die ungewöhnlichen und selten besprochenen Seiten von Auswandererbiographien anderen zugänglich machen kann. Auf diese Weise, und dazu ist dieses Buch ein erster Schritt, lässt sich auch die russischsprachige jüdische Bevölkerung Regensburgs sichtbar machen.
Prof. Ger Duijzings und der Historiker Prof.Klaus Buchenau,