Das jüdische Leben zum Ende der Kaiserzeit und bis weit hinein in die Weimarer Republik war vielfältig und integriert. Mit der fortschreitenden rechtlichen Gleichstellung entfaltete sich die jüdische Gemeinde zunehmend, entwickelte sich weiter, erfand sich teilweise neu und stand in der kulturellen Blüte.
Die wachsende Gemeinde (1861-1910)
Mit der Aufhebung des Judenedikts in Bayern im Jahre 1861 begann eine Zeit der rechtlichen Gleichstellung von Juden. Dies hatte unter anderem zur Folge, dass sich Juden ihren Wohnort frei wählen durften. Größere Orte wie Regensburg waren deshalb ein attraktives Ziel, da dort eine jüdische Gemeinde samt zugehöriger Infrastruktur vorhanden war. So kam es zu einer steigenden Zahl an Gemeindemitgliedern ab Mitte des 19. Jahrhunderts. Dies dauerte bis Ende der 1870er Jahre an. Dann jedoch ging die Zahl der Geburten zurück und somit stagnierte auch die Zahl an jüdischen Stadtbewohnern.
Toleranz, Akzeptanz und Integration (Ende des 19. Jahrhunderts)
Zwar gab es 1895 eine Versammlung der Antisemitischen Volkspartei in Regensburg, jedoch entsprach dies nicht der mehrheitlichen Meinung in Regensburg. Zumeist lebten Christen und Juden in guter Nachbarschaft. Auch die religiösen Gemeinschaften pflegten ein Miteinander. Es gab mehrere geistliche Würdenträger, die sich klar gegen Judenhass positionierten, beispielsweise Bischof Antonius von Henle.
Trotz aller Verbesserungen in der Rechtsstellung war ein politisches Engagement für Juden lediglich in liberalen Parteien möglich. Das katholische Zentrum, eine der stärksten Parteien in Bayern, fand zwar bei einigen Juden Unterstützung, bot diesen aber kein Betätigungsfeld.
Jüdische Bürger in der Regensburger Gesellschaft
Öffentlich prägten die jüdischen Bürger das Stadtbild durch zahlreiche Geschäfte, von denen manche – wie die Kaufhauskette Tietz – zu den erfolgreichsten ihrer Branche gehörten. Weitere Berufszweige, die Juden häufig wählten, waren der Rechts- sowie der Finanzsektor. Der Bankier Max Weinschenk zählte zu dieser Zeit zu den wichtigsten Personen der Regensburger „High Society“. Seine Villa war Veranstaltungsort zahlreicher Kunstausstellungen.
Kulturell zeichnete sich die jüdische Gemeinde zur Jahrhundertwende durch ein breites Spektrum an verschiedensten Vereinen aus. Es gab rein jüdische Vereinigungen wie den Frauenverein Chewras Noschim, den Verein Phoenix, der sich als Geselligkeitsverein für Wohltätigkeit und Selbsthilfe sah, oder die Chewra Kadischa, welche sich um die Organisation und Seelsorge bei Todesfällen kümmerte.
Weiterhin gab es die Zionistische Vereinigung. Diese Strömung war vom Österreicher Theodor Herzl ausgegangen, der den Wunsch nach einem jüdischen Staat geäußert hatte. Grund dafür war der trotz der politischen Liberalisierungsprozesse immer wieder in Europa auftretende Antisemitismus gewesen. Auch in Regensburg fasste diese Bewegung Fuß. 1902 schrieb sogar die Zeitschrift Der Israelit, dass auch der Regensburger Distriktrabbiner Dr. Seligmann Meyer zu einem Anhänger dieser Idee geworden sei, nachdem er sich auf einem zionistischen Treffen wohlwollend zu Wort gemeldet hatte.
Jüdische Bürger fanden sich aber auch in konfessionsübergreifenden Vereinen zusammen. So zum Beispiel in der Regensburger Freimaurerloge oder der Narragonia, von welcher der jüdische Rechtsanwalt Dr. Julius Uhlfelder der Präsident war. Ein weiterer gesellschaftlicher Verein, in dem der Jurist ebenfalls eine führende Rolle innehatte, war die Schlaraffia Ratisbona. Diese Gruppierung wurde offiziell am 14. März 1879 in Regensburg gegründet. Diese Gesellschaft war bekannt für ihre Kunstsinnigkeit, den Humor und ihren engen Zusammenhalt.
Die Synagoge von 1912
Die Notwenigkeit einer neuen Synagoge bestand bereits im Jahre 1907, als das bis dahin genutzte G“tteshaus in der Unteren Bachgasse 3 wegen Einsturzgefahr laut polizeilicher Anordnung geschlossen wurde. Bereits zuvor wurden die Räume jedoch nicht mehr genutzt, da während eines Gebets ein Stein aus dem Balkon der Frauenloge gebrochen war. Daraufhin hatte der Rabbiner Dr. Meyer Seligmann das Betreten der Räumlichkeiten untersagt. Nachdem einige Architekten ihr Konzept vorgelegt hatten, setzte sich letztendlich der Entwurf von Josef Koch & Franz Spiegel durch. Im Gegensatz zur alten Synagoge sollte im neuen Gebäudekomplex genug Platz sein, um beispielsweise auch Räume für die Talmudschule zur Verfügung stellen zu können, welche zuvor im Thon-Dittmer-Palais beheimatet war. Unter anderem deshalb verlegte man den Standort in die Schäffnerstraße 2 (heute: Am Brixener Hof 2). Die dabei architektonisch gewählte Gestaltung entsprach vollends dem damaligen künstlerischen Zeitgeist. Die barocken Elemente bildeten in Kombination mit dem orientalischen Design einen markanten Baustil. Weiterhin besonders auffallend sind die in die Architektur miteingebundenen Motive des Davidsterns. Dieser findet sich zum einen als Fenstermotiv, zum anderen als Kuppelspitze wieder. Mit Platz für weit über 400 Personen bot das Innere des Gotteshauses ausreichend Platz für die damalige jüdische Gemeinde. Außerdem befanden sich auf dem Gelände neben der bereits erwähnten Talmudschule und der Synagoge ebenso ein Gemeindehaus, ein Ritualbad, Mikwe, ein Schlachthof für Geflügel sowie mehrere Wohneinheiten. Der Kostenaufwand lag bei 300.000 Mark.
Am 6. September 1912 fand schließlich die Einweihungsfeier statt. Eingeladen waren die Regensburger Vertreter der christlichen Kirchen, die Distriktsrabbiner von Neumarkt und Nürnberg, der Oberbürgermeister, der Stadtrat sowie andere Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. Dokumentiert wurde der festliche Akt nicht nur durch Fotos, sondern auch schriftlich. Dafür verantwortlich war Isaak Meyer, der damalige Chronist der jüdischen Gemeinde. Neben dem Vorstandsvorsitzenden Dr. Heidecker hielten der Distriktsrabbiner Dr. Seligmann Meyer sowie der Erste Bürgermeister der Stadt Regensburg, Dr. Gessler, eine Rede. In dieser verkündete der Dr. Gessler eine friedliche Zeit des Miteinanders, welche die Vergangenheit vergessen lassen sollte. Außerdem betonte er die Religionsfreiheit sowie die Freude, die jüdische Gemeinde in der Stadt eingegliedert zu sehen. Die Synagoge war Symbol der gesellschaftlichen Öffnung und des friedlichen Miteinanders.
Juden im Ersten Weltkrieg
Im Ersten Weltkrieg meldeten sich auch jüdische Regensburger freiwillig für den Kriegsdienst. Insgesamt wurden 53 Juden Soldaten, von denen 11 bis 1918 ihr Leben ließen. Die Eingezogenen wurden vom Rabbiner Dr. Seligmann Meyer gesegnet und während der kriegerischen Auseinandersetzungen wurde regelmäßig für die deutschen Soldaten aller Konfessionen gebetet. Außerdem unterstützten Mitglieder der jüdischen Gemeinde die Stadt mit Spenden in Höhe von insgesamt 2.500 Mark. Drei Regensburger Juden bekamen das Eiserne Kreuz, Fritz Firnbacher die silberne Tapferkeitsmedaille.
Die Juden in der Gesellschaft der Weimarer Republik
Auch nach dem Krieg gab es hin und wieder antisemitische Ausfälle, aber insgesamt fühlten sich Juden in Regensburg gut in die Gesellschaft integriert. Als Beispiel für die starke Eingebundenheit in das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben kann Fritz Oettinger, der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde dienen. Er war Rechtsanwalt, engagierte sich leitend bei Schlaraffia Ratisbona und saß als Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei im Stadtrat.
Ein Brennpunkt für Antisemitismus waren für gewöhnlich die Kriegervereine, welche oftmals den Juden eine Mitschuld am Untergang des Kaiserreichs gaben. In Regensburg jedoch war dies anders. Denn hier hatten die jüdischen Bürger sehr gute Verbindungen zu diesen Verbänden. Ein Ausdruck für die Verbundenheit war, dass am Heldengedenktag nicht nur Banner der Kriegervereine in christlichen Kirchen aufgehangen wurden, sondern auch in der Synagoge. Die jüdische Gemeinde wiederum beteiligte sich an der Finanzierung des Regensburger Gefallenendenkmals.
Jedoch gab es auch antisemitische Taten. So kam es mehrmals zu Friedhofsschändungen, bei denen Grabsteine umgestoßen oder Hakenkreuze aufgeschmiert wurden. Am 29. Januar 1929 gab es wieder eine erste gesetzliche Beschränkung, die das jüdische Leben betraf. Rituelles Schächten wurde in Bayern verboten, sodass solches Fleisch teuer importiert werden musste.
Ein Zeichen des steigenden Antisemitismus war ebenfalls die steigende Zahl der Schülerinnen und Schülern der israelitischen Schule. Waren zuvor noch mehr jüdische Kinder auf öffentliche Schulen gegangen, so kam es zu Beginn der dreißiger Jahre dazu, dass manche aufgrund der zunehmenden Diskriminierung auf die jüdische Schule wechselten.
Liberale und orthodoxe Bestrebungen innerhalb der jüdischen Gemeinde
Die Vielfalt innerhalb der jüdischen Gemeinde führte dazu, dass sich zwei verschiedene Gruppierungen bildeten, welche zu Zeiten der Weimarer Republik um die Sitze im jüdischen Gemeindevorstand kämpften. Das orthodoxe Lager, welches durch den Rabbiner Dr. Seligmann Meyer und nach seinem Tod durch dessen Söhne vertreten wurde, konkurrierte gegen die liberale Fraktion, welche die jüdischen Gesetze toleranter auslegen wollte.
Als der Distriktsrabbiner Meyer verstarb, übernahm im Jahre 1926 Dr. Magnus Weinberg, der Rabbiner von Neumarkt die kommissarische Leitung. Außerdem stand ein weiterer Umbruch mit den Neuwahlen des jüdischen Gemeindevorstands an. Dabei wurde der liberalere Fritz Oettinger als Vorstand wiedergewählt. Nachdem allerdings das Frauenwahlrecht beschlossen wurde, folgten noch im selben Jahr Neuwahlen. Deren Ausgang stärkte den orthodoxen Flügel, der zum einen von den eher konservativen Frauen, aber auch von den hinzugezogenen Ostjuden profitierte. Gemeindevorsitzender war nun David Rosenblatt. 1927 wurde schließlich der ebenfalls orthodoxe Dr. Harry Levy als neuer Rabbiner eingestellt.
Krisenzeichen
Mit Beginn der Wirtschaftskrise rückte die jüdische Gemeinde enger zusammen. Dies hatte zweierlei Gründe. Zum einen war es so, dass der wachsende Antisemitismus ein geschlossenes Auftreten erforderte. Deshalb taten sich die beiden Flügel zusammen, sodass es nur noch eine Kandidatenliste bei der Wahl gab. Durch diese im Voraus geregelte Wahl verhinderte man erneute Diskussionen. Außerdem wuchsen die sozialen Probleme, was zur Gründung zahlreicher wohltätiger und gemeinnütziger Organisationen führte. Dies sollte einerseits die ärmste Bevölkerungsschicht auffangen, zum anderen die soziale Gemeinschaft stärken. Beispielhaft für soziales Engagement waren der Verein Phoenix oder die Jüdische Altershilfe Regensburg e.V. Der Rabbiner Dr. Harry Levy rief zusammen mit dem Gemeinderat außerdem eine Bücherei, einen Mittagstisch und ein Altenheim ins Leben. Um die arbeitslosen Jugendlichen zu beschäftigen, gab es zudem Vereine wie den Esra-Jugendverein, den zionistischen Sportclub Makkabi sowie den Talmud-Studienkreis.
Literatur
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Borut, Jakob, Die Juden in Regensburg, 1861-1933. In: Himmelstein, Klaus (Hrsg.): Jüdische Lebenswelten in Regensburg: eine gebrochene Geschichte. Regensburg 2018.
Bundeszentrale für politische Bildung: Politischer und Kulturzionismus. Online: http://www.bpb.de/internationales/asien/israel/44945/politischer-und-kulturzionismus (22.2.2019)
Heider, Mathias: Die jüdische Gemeinde in Regensburg und ihr Rabbiner Seligmann Meyer, 1881-1925. In: Himmelstein, Klaus (Hrsg.): Jüdische Lebenswelten in Regensburg: eine gebrochene Geschichte. Regensburg 2018.
Himmelstein, Klaus: Isaak Meyer, Chronist der Israelitischen Kultusgemeinde Regensburg. In: Ders. (Hrsg.): Jüdische Lebenswelten in Regensburg: eine gebrochene Geschichte. Regensburg 2018.
Kraus, Wolfgang / Eberhardt, Barbara (Hrsg.): Mehr als Steine … Synagogen-Gedenkband Bayern. Band 1. Lindenberg im Allgäu 2007. S. 269ff.
Schlaraffia Ratisbona. Online: http://www.schlaraffia-ratisbona.de/was-ist-schlaraffia.html (22.2.2019)
Quellen
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Alemannia Judaica: Bezirksrabbiner Dr. Meyer wird zum Befürworter der zionistischen Bewegung (1902). Online: http://www.alemannia-judaica.de/regensburg_texte.htm#Bezirksrabbiner%20Dr.%20Meyer%20wird%20zum%20Bef%C3%BCrworter%20der%20zionistischen%20Bewegung%20(1902) (22.2.2019)
Alemannia Judaica: Die alte Synagoge 1841. Online: http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20131/Regensburg%20Meyer%20020.jpg (22.2.2019)
Alemannia Judaica: Die neue Synagoge 1912. Online: http://www.alemannia-judaica.de/regensburg_synagoge.htm#Die%20neue%20Synagoge%C2%A0(1912%20bis%201938)%C2%A0 (22.2.2019)
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Alemannia Judaica: Friedhofschändungen im August 1924 und im Mai 1927. Online: http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20122/Regensburg%20Israelit%20190511927.jpg (22.2.2019)
Berger-Dittscheid, Cornelia / Dittscheid, Hans-Christoph: Die neuzeitlichen Synagogen in Regensburg - Blüte und Zerstörung. In: Himmelstein, Klaus (Hrsg.): Jüdische Lebenswelten in Regensburg: eine gebrochene Geschichte. Regensburg 2018. S. 198.
Heider, Mathias: Die jüdische Gemeinde in Regensburg und ihr Rabbiner Seligmann Meyer, 1881-1925. In: Himmelstein, Klaus (Hrsg.): Jüdische Lebenswelten in Regensburg: eine gebrochene Geschichte. Regensburg 2018. S. 164
Regensburger Tagebuch: die fünf Synagogen Regensburgs. Online: https://www.regensburger-tagebuch.de/2018/07/die-funf-synagogen-regensburgs.html
Stadtarchiv Regensburg, ZR 3211
Stadtarchiv Regensburg, ZR 6863
Stadtarchiv Regensburg, ZR 6863
Bilder
Alemannia Judaica, Wikipedia, Stadtbildstelle, Stadtarchiv Regensburg