Die Herrschaft der Nationalsozialisten war für die Regensburger Juden ein erschütternder Abschnitt der Stadtgeschichte. Einen Höhepunkt von Diskriminierung, Entrechtung und Ausgrenzung stellte die in aller Öffentlichkeit sichtbar durchgeführte Pogromnacht dar – und sie war nur der Auftakt des Versuchs, jüdisches Leben in Regensburg auszulöschen.
Machtübernahme der Nationalsozialisten (30. Januar 1933)
Mit der Ernennung von Adolf Hitler zum neuen Reichskanzler durch Paul von Hindenburg wurde am 30. Januar 1933 das dunkelste Kapitel in der jüdischen Geschichte Regensburgs eingeleitet. Ab diesem Zeitpunkt untergruben die Nationalsozialisten Stück für Stück die demokratischen Werte unter dem Deckmantel, das zuvor angeblich herrschende politische Chaos überwinden zu wollen. Durch Terror, Gewalt und Propaganda festigte die NSDAP schnell ihre Machtstellung im Deutschen Reich und spätestens nach der mit knapper Mehrheit gelungenen Übernahme des Reichstages im März 1933 und dessen anschließender Auflösung hatten sie alle nötige Macht zur Einführung einer Diktatur.
Vom Staat getragen und unterstützt konnte die NSDAP ihre Hetze gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen – vor allem gegen Juden – schnell flächendeckend verbreiten. So zeigte sich der schon länger bestehende Antisemitismus nach der Machtübernahme auch in Regensburg immer öffentlicher. Jüdische Kaufleute und Händler wurden aufgrund falscher Gerüchte in Haft genommen, jüdische Firmeninhaber, Ärzte und Rechtsanwälte wurden öffentlich herabgewürdigt. Um dieser Diskriminierung zu entgehen, emigrierten bereits in den folgenden Monaten des Jahres 1933 aufgrund der anhaltenden Demütigungen 112 Mitglieder der Regensburger jüdischen Gemeinde, unter anderem die Rechtsanwälte Dr. Isaak Meyer und Siegfried Weiner.
Boykott jüdischer Geschäfte (1. April 1933)
Nach der ersten großen Verhaftungswelle Ende März 1933, während der 110 Mitglieder der israelitischen Gemeinde Regensburgs für einen Tag oder länger in „Schutzhaft“ genommen wurden, begann am 1. April der Boykott jüdischer Geschäftsleute. Schon einen Tag zuvor gab es einen gegen die Juden gerichteten Demonstrationszug mit Plakaten wie „Meidet jüdische Ärzte! Meidet jüdische Rechtsanwälte! Die Juden sind unser Unglück!“ durch die Donaustadt sowie eine Kundgebung der NSDAP, bei der die jüdischen Mitbürger als „Börsen- und Bankenjuden“ diffamiert wurden.
Am Tag des Boykotts wurden vor jüdischen Arztpraxen, Kanzleien und Geschäften SS- und SA-Posten angeblich zur Beschwichtigung der „erregten Volksmenge“ Regensburgs aufgestellt. In Wahrheit sollten diese darauf achten, wer die Geschäfte betrat, um die betreffenden Personen zu melden. So wurde es für viele undenkbar und gefühlt risikoreich, in jüdischen Geschäften einzukaufen. Außerdem prangten in oder auf den Schaufenstern Schilder mit Aufschriften wie „Deutsche, kauft nicht bei Juden“ oder – wie beim Warenhaus Schocken: „Nur Volksverräter kaufen bei Juden“.
Zwar blieb vielen jüdischen Geschäften Regensburgs ein treuer Kundenstamm, jedoch wurden diese Kunden genau beobachtet und beispielsweise in der lokalen Presse benannt. Außerdem wurde ab diesem Zeitpunkt begonnen, sogenannte „staatsfeindliche“ Vermögenswerte einzuziehen, auch um rückständige Gemeindesteuern zu begleichen. Hierzu zählte man auch die Vermögenswerte der Regensburger Juden.
Mit der „Wahl“ des altgedienten Parteigenossen der NSDAP, Otto Schottenheim, am 29. Mai 1933 zum Oberbürgermeister der Stadt war auch die Stadtverwaltung Regensburgs gleichgeschaltet und gegen die Juden gerichtet.
Der Familie des ebenfalls in „Schutzhaft“ genommenen Bankiers Wertheimber soll schon zu dieser Zeit laut Aussage der damals zwölfjährigen Tochter Rosel Wertheimber von einem Nationalsozialisten aus der Nachbarschaft geraten worden sein auszuwandern.
Nürnberger Gesetze (15. September 1935)
Auf dem „Reichsparteitag der Freiheit“ im Jahr 1935 wurden von der NSDAP- Führung Gesetze zum Verhältnis von „Ariern“ und „Nichtariern“ ausgearbeitet. Diese wurden am 15. September des gleichen Jahres als Reichsbürgergesetz und Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre verabschiedet. Damit war der Antisemitismus in Deutschland rechtlich legitimiert.
Das Reichsbürgergesetz machte Juden in Deutschland zu „Staatsangehörigen“, die im Gegensatz zu den „arischen Reichsbürgern“ weniger Rechte hatten. Im Blutschutzgesetz, wie das zweite eingeführte Gesetz auch genannt wird, wurden Eheschließungen von Juden und Nichtjuden verboten, Juden durften die neue Reichsflagge nicht mehr hissen und keine „arischen“ Dienstmädchen unter 45 mehr anstellen. Diese Bestimmungen waren eine Kriminalisierung.
Der Regensburger Oberbürgermeister handelte sogar schon vor der offiziellen Einführung nach diesen beiden Gesetzen. Die am 19. Juli 1935 geschlossene Ehe des Kaufmanns Helmut Seelig und seiner Frau Maria Ernst wurde von Schottenheim annulliert, da diese Ehe eines Juden und einer Nichtjüdin laut Stadtoberhaupt nicht mit dem Rassegedanken des Nationalsozialismus vereinbar war. Der Standesbeamte, der die Trauung vollzogen hatte, wurde trotz rechtlich richtigen Handelns suspendiert, die beiden Eheleute kamen wegen Rassenschande in „Schutzhaft“.
Reichspogromnacht und Schandmarsch durch die Stadt
Einer der grausamen Höhepunkte der Judenschikane war die Reichspogromnacht am 9. November 1938. Am Jahrestag des gescheiterten Hitler-Ludendorff-Putsches (1923), versammelte sich die Führung der NSDAP zum Gedenken, so auch in Regensburg. Als während der Festlichkeiten in der Jahnturnhalle am Oberen Wöhrd die Nachricht eintraf, dass der nationalsozialistische Diplomat Ernst vom Rath den Verletzungen des auf ihn verübten Attentats erlegen war, wurde umgehend von München aus zum „Gegenschlag“ aufgerufen.
In Regensburg organisierte der Oberstaffelführer des Nationalsozialistischen Kraftfahrerkorps (kurz: NSKK) auf Geheiß seines Gruppenführers den Angriff auf die jüdische Gemeinde, indem er mit einigen Männern seines Korps die Synagoge in Brand steckte. Um ein Niederbrennen der Gebetsstätte zu erreichen, bestellte Bürgermeister Schottenheim den Leiter der städtischen Berufsfeuerwehr laut dessen Aussage zu sich und forderte ihn auf, die Synagoge nicht zu löschen und nur umstehende Gebäude zu schützen.
Zeitgleich fingen Männer der Schutzstaffel, der Sturmabteilung sowie die übrigen Männer des NSKK an, Juden im ganzen Stadtgebiet aus ihren Häusern und Wohnungen zu zerren und diese zu verwüsten und zu zerstören. Die Frauen und Kinder wurden nach einem Verhör im Polizeirevier wieder nach Hause geschickt.
Die etwa 70 jüdischen Jungen und Männer jedoch wurden am Morgen des nächsten Tages zunächst auf dem NSKK-Gelände zu demütigenden „Morgensport“-Übungen gezwungen. Anschließend mussten sie sich versammeln und einen langen Schandmarsch durch die Regensburger Altstadt auf sich nehmen. An dessen Ende, in der Nähe des Bahnhofs, warteten Lastwagen, die die erschöpften Juden teils ins Konzentrationslager Dachau, teils in die als Augustenburg bekannte Justizvollzugsanstalt Regensburg brachten, wo sie mehrere Wochen ausharren mussten. Mit der Bedingung einer Zwangsemigration wurden viele wieder freigelassen.
Minimierung der jüdischen Gemeinde (1938-1942)
Die Juden mussten in der Zeit nach den traumatischen Ereignissen der Pogromnacht weitere demütigende Einschränkungen über sich ergehen lassen.
So konzentrierte die Stadt sich in den darauffolgenden Wochen verstärkt auf die „Arisierung“ jüdischer Betriebe und Wohnhäuser. Man zwang die jüdischen Besitzer durch mehrere Verordnungen, zum Beispiel die Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben oder mit angedrohten Zwangsenteignungen zum Verkauf und zur Hinterlegung ihrer Immobilien- und Vermögenswerte und beraubte sie so ihrer Existenz. Die Industrie- und Handelskammer Regensburg, seit Anfang des Jahres 1938 an der „Arisierung“ beteiligt, erklärte ihren Zuständigkeitsbezirk im Sommer 1939 offiziell für „judenfrei“. Es wurden folglich alle Regensburger Geschäfte in jüdischem Besitz bis zu diesem Zeitpunkt entweder aufgelöst oder an regimetreue Kaufinteressenten weit unter Wert verkauft.
Ein bedeutendes Beispiel hierfür ist die Übernahme eines der größten Arbeitgeber im damaligen Regensburg. Die Walhalla-Kalkwerke wurden von den reichseigenen Hermann-Göring-Werken nach Androhung eines Enteignungsverfahrens aufgekauft, den Erben kam nur ein winziger Bestandteil der Verkaufssumme zu.
Neben der Enteignung reihten sich in den nächsten Jahren weitere Schikanen. So mussten sich jüdische Männer und Frauen die zusätzlichen Namen „Israel“ und „Sara“ in offizielle Dokumente eintragen lassen. Zudem galt für Juden bald eine nächtliche Ausgangssperre und das Verbot der Teilnahme an kulturellen Veranstaltungen. Am 13. November 1939 wurden die Lebensmittelrationen, die für Juden schon vor Kriegsbeginn genau geregelt waren, neu geordnet und drastisch gekürzt. Zur Erkennung wurden die Lebensmittelkarten mit einem großen roten „J“ gekennzeichnet.
Ab September 1941 musste sich jeder Jude selbst mit einem gelben Judenstern kennzeichnen, der „sichtbar auf der Kleidung“ anzubringen war. Auch die nur noch 22 Wohnhäuser waren zu kennzeichnen. Zudem hab es zwei „Judenhäuser“, in denen mehrere Familien beziehungsweise in Form eines Altenheims alte Leute untergebracht waren. Aufgrund der Enteignungen und des Einzugs des Vermögens konnten sich viele jetzt selbst die Miete ihrer Unterkünfte nicht mehr leisten.
Beginn der Deportationen (2. April 1942)
In der Wannseekonferenz am 20. Januar 1942 wurde die koordinierte Durchführung der sogenannten „Endlösung“ besprochen. Im Juli desselben Jahres begann mit der Aktion Reinhardt die systematische Ermordung von Juden in zahllosen Konzentrationslagern und den Vernichtungslagern Treblinka, Sobibor und Bełzec, Auschwitz-Birkenau und Majdanek.
Die Deportation der in Regensburg lebenden Juden begann im Frühjahr 1942. Alle jüdischen Männer und Frauen unter 65 Jahren wurden in der Nacht zum 2. April 1942 zusammengetrieben. Unter dem Vorwand in ihre „neue Heimat im Osten“ zu reisen, wie die Deportation von den Nationalsozialisten umschrieben wurde, bestiegen sie die Waggons der Reichsbahn. Durch die nächtliche Aktion und das Stillschweigen in den Zeitungen blieb der Abtransport der jüdischen Mitmenschen für viele Regensburger unbemerkt, es fragte aber auch kaum jemand nach. Die knapp 110 Menschen umfassende Gruppe wurde mit Umweg über München nach Piaski geschafft, einem Durchgangsghetto in der Nähe der polnischen Stadt Lublin. Schon beim Transport wurden Briefen zufolge einige der Reisenden krank, manche starben sogar, wie zum Beispiel Marie Kahn, die als erstes Regensburger Opfer gilt. Spätestens in den Ghettos und Lagern wurden die Menschen durch harte Arbeit, Trennung von Verwandten, Unterversorgung und widrige Lebensumstände systematisch vernichtet. Ihnen wurde jegliche Widerstandskraft und Hoffnung genommen.
Piaski war, was viele erst Wochen später begriffen, eine Vorstufe für Schlimmeres. Aufgrund fehlender Einträge in den Melderegistern ist nicht bekannt, wohin der letzte Weg der zahlreichen jüdischen Männer und Frauen aus Regensburg führte und wo genau sie umkamen.
Verschleppung der restlichen Regensburger Juden (1942-1945)
Nach der ersten großen Deportationswelle aus Regensburg im April 1942 gab es in der folgenden Zeit immer wieder kleinere und größere Transporte, die unterschiedliche Gruppen betrafen. So wurden am 15. Juli 1942 einige Bürger direkt in das neu errichtete Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert.
Am 23. September 1942 ereignete sich die nächste große Welle der Deportationen. 117 alte und/oder kranke Juden, welche von der ersten Deportationswelle verschont wurden und unter anderem im Altersheim in der Weißenburger Straße gesammelt untergebracht waren, wurden jetzt in das Ghetto Theresienstadt überstellt. Von dieser Gruppe gehörten 39 Menschen zur Jüdischen Gemeinde Regensburg, bei den anderen handelte es sich um in den Vorjahren zugezogene oder geflohene Menschen. Einige wenige der betroffenen Regensburger überlebten die Schikanen auf der Reise und im Lager.
Am 25. November 1943 wurde die „halb-jüdische“ Alice Heiß wegen „Abhörens von Feindsendern“, womit der britische Sender BBC gemeint war, nach Auschwitz-Birkenau deportiert und dort 1944 ermordet.
Die letzte Deportation von Juden aus Regensburg ist auf den 12. Februar 1945 datiert. Bei diesem Transport wurden die restlichen in Regensburg verbliebenen, in „Mischehe“ lebenden 11 Juden in das Konzentrationslager Theresienstadt gebracht. Von dieser Gruppe überlebten alle, einige kehrten zurück.
Von März 1944 bis April 1945 wurden 400 Häftlinge des KZ Flossenbürg, auch jüdische, im Außenlager Colosseum unter schlimmsten Bedingungen zum Arbeiten gezwungen. Im
Das jüdische Gemeindeleben in Regensburg war unter den beschriebenen Bedingungen kaum möglich und sollte systematisch ausgelöscht werden. Das gelang teilweise: Zwischen 150 und 200 gebürtige Regensburger Juden starben, viele von ihnen werden heute mit Stolpersteinen erinnert. 233 jüdischen Männern, Frauen und Kindern aber gelang die Emigration aus der Stadt an der Donau. Ob von diesen alle weit genug emigrierten, um den Fängen der nationalsozialistischen Verfolgung dauerhaft zu entgehen, bleibt offen.
Quellen
Stadtarchiv Regensburg ZR III 2009
Stadtarchiv Regensburg ZR 13 334
Stadtarchiv Regensburg ZR III 2009
Literatur
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Bilder
Stadtbildstelle Regensburg
Weiterführende Links
„Alles Koscher?“ Projekt der Realschule am Judenstein 2012 http://www.alleskoscher.de/ausstellung/gruppe_2.php (20.2.2019)
Synagoge Regensburg https://synagoge-regensburg.de/historische-verantwortung/ (20.2.2019)
Lebendiges Museum online des DHM https://www.dhm.de/lemo (20.2.2019)
Gedenken an die Reichspogromnacht https://www.tvaktuell.com/mediathek/video/gedenken-an-die-reichspogromnacht-in-regensburg/ (20.2.2019)